Anlässlich des 800jährigen Jubiläums entstehen auf Initiative der drei Provinziäle des 1. Ordens 12 Kurztexte, die später auch einmal als Büchlein erscheinen sollen. Bis dahin können sie in allen franziskanischen Medien benutzt werden. Wir haben die Erlaubnis bekommen – vielen Dank dafür! – diese Texte auch bei uns zu veröffentlichen.
Neben den Brüdern und Schwestern, die das franziskanische Armutsideal im Kloster zu verwirklichen suchten, schlossen sich auch in der Welt lebende Ledige und Eheleute, Laien oder Kleriker der franziskanischen Gemeinschaft an. Sie stehen für den dritten Zweig innerhalb des Franziskanerordens, mit dem der hl. Franziskus „die Kirche Gottes“ zu erneuern versuchte. Wie die Anhänger der Armuts- und Bußbewegung des 11. / 12. Jahrhunderts, die nach einem Leben in evangelischer Vollkommenheit strebten, führten auch diese Männer und Frauen „entsprechend dem heilsamen Rat der Brüder in ihren eigenen Häusern ein strengeres Leben in Buße“.
Dabei fühlten sich vor allem Frauen aller gesellschaftlicher Schichten von der franziskanischen Lebensform angezogen, obwohl sich der Ordensgründer und die frühen Franziskaner einer institutionellen Anbindung von Frauen(gemeinschaften) widersetzten. Zu den bekanntesten Persönlichkeiten zählte die thüringische Landesfürstin Elisabeth von Ungarn, die sich durch die Begegnung mit den ersten in Deutschland seit 1221 wirkenden Brüdern für die franziskanische Lebensform begeisterte. Obwohl Elisabeth ihrem Wunsch entsprechend von dem Franziskaner Rodeger geistlich betreut wurde, war sie jedoch weder institutionell noch in Bezug auf ihre Frömmigkeit an den Orden angebunden. Dennoch weist ihr 1226 getroffener Entschluss, zukünftig ein Leben als Hospitalschwester zu führen, um persönlich für die Armen zu sorgen, eigenhändig Bettler zu pflegen und sich den Aussätzigen zuzuwenden Anklänge an das frühe, noch nicht klerikalisierte Franziskanertum auf. Die enge Verbindung der 1235 heilig gesprochenen Elisabeth zur franziskanischen Lebensweise ließ sie neben Franziskus und Klara als eine der zentralen Heiligengestalten des Ordens werden.
Wenngleich Elisabeth von Thüringen kein Mitglied des Dritten Ordens war, steht sie exemplarisch für die Männer und Frauen, die sich von Franziskus zu einem strengen Büßerleben inspirieren ließen. Diese Bußbewegung bestätigte der Franziskaner-Papst Nikolaus IV. im Jahre 1289 mit der Bulle „Supra montem“. Darin deklarierte der Pontifex Franziskus zum „Gründer“ dieses Ordenszweiges, obwohl der Mann aus Assisi bereits 1226 gestorben war. Gleichzeitig schrieb Nikolaus IV. allen Schwestern und Brüdern die 1284 von Carus von Florenz verfasste Regel vor. Danach sollen nur jene in den Orden aufgenommen werden, die der Häresie unverdächtig sind, keine Schulden und sich mit ihren Nachbarn ausgesöhnt haben. Ehefrauen mussten die Einwilligung ihrer Männer einholen. Die seit den 1280er Jahren als „Terziarinnen bzw. Terziaren“ bezeichneten Frauen und Männer waren zu einem enthaltsamen, gewaltlosen und bescheidenen Leben verpflichtet, das zugleich den Verzicht auf weltliche Vergnügungen wie Tänze, Spiele und Prunk vorsah. Darüber hinaus wurden sie aufgefordert, Bußkleidung zu tragen sowie dreimal im Jahr zu beichten und die Kommunion zu empfangen. Außerdem wurden sie mit der Aufgabe betraut, für Kranke zu sorgen und ihnen seelsorgerisch beizustehen, an Begräbnissen teilzunehmen sowie für verstorbene Mitglieder zu beten. Gleichzeitig entschied Nikolaus IV., dass sich alle Laiengruppen der geistlichen Führung der Franziskanerbrüder unterzuordnen hätten und verordnete ihnen einen eigenen Habit. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts war dieser weltliche Zweig des Dritten Ordens in Europa weit verbreitet.
Neben diesem weltlichen Zweig hat sich bereits Mitte des 13. Jahrhunderts der sogenannte regulierte Dritte Orden etabliert. Ihm gehörten vor allem weibliche Kommuitäten an, die als bereits bestehende Schwestern- oder Beginengemeinschaften die Regel des Regulierten Dritten Ordens des hl. Franziskus annahmen, um so den gegen sie gehegten Häresieverdacht zu entkräften. Dazu zählen beispielsweise die heutige Kongregation der Dillinger Franziskanerinnen, die Franziskanerinnenklöster St. Crescentia in Kaufbeuren und Maria Stern in Augsburg. Ihre Niederlassungen befanden sich mehrheitlich im west- und südwestdeutschen Raum, oft in der Nähe eines Franziskanerklosters, das die Frauen seelsorgerisch betreute. Auf Wunsch und Förderung der Päpste wurde die Lebensform dieser Gemeinschaften im ausgehenden Mittelalter der klösterlichen immer ähnlicher, nicht zuletzt durch die Einführung einer strengen Form der Klausur. Diese Entwicklung verstärkte sich durch die Einführung einer eigenen Regel, die Papst Leo X. im Jahre 1510 den Gemeinschaften auferlegte. Dadurch sollte der in Bezug auf Gewohnheiten und Regelbeobachtung sehr mannigfaltige regulierte Dritte Orden vereinheitlicht werden. Gleichzeitig schrieb die Regel den Mitgliedern vor, feierliche Gelübde abzulegen und Gehorsam gegenüber den Provinzialen des Ersten Ordens zu geloben. Dadurch wurde die Freiwilligkeit dieser Lebensform endgültig aufgegeben.
Eine neue Entwicklung nahm der regulierte Dritte Orden Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Kontext der sozialen Frage entstanden im deutschsprachigen Raum zahlreiche Gemeinschaften, die sich zu Kongregationen zusammenschlossen. Sie sind häufig unter dem Namen des Ortes bekannt, an dem sich ihre Hauptniederlassung befindet, wie zum Beispiel die Franziskanerinnen von Olpe, Sießen oder Waldbreitbach. Sie widmen sich bis heute vornehmlich karitativen und erzieherischen Aufgaben in Schulen, Heimen und Krankenhäusern.
So entfaltete der Dritte Orden beider Prägungen eine Wirkmächtigkeit, die vor allem aus dem gemeinsamen Charisma resultiert. Da ist zunächst die „christliche Gleichheit“ zu nennen, die Frauen und Männer aller Stände und Schichten vereint. Darüber hinaus verbindet die Mitglieder des regulierten wie des säkularen Dritten Ordens das Ziel, die franziskanischen Ideale in der Hinwendung zur Welt zu verwirklichen: die einen in Form des aktiven sozial-pastoral geprägten Ordenslebens, die anderen im Sinne eines beruflich-familialen Laienlebens in der Gesellschaft.
Angelica Hilsebein