Teil 11, 800 Jahre in Deutschland

800 Jahre franziskansiches Leben in Deutschland
Teil 10, 800 Jahre in Deutschland
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Teil 11, 800 Jahre in Deutschland

800 Jahre franziskanisches Leben in Deutschland

Anlässlich des 800jährigen Jubiläums entstehen auf Initiative der drei Provinziäle des 1. Ordens 12 Kurztexte, die später auch einmal als Büchlein erscheinen sollen. Bis dahin können sie in allen franziskanischen Medien benutzt werden. Wir haben die Erlaubnis bekommen – vielen Dank dafür! –  diese Texte auch bei uns zu veröffentlichen.

Teil 1: Warum wir das Jubiläum feiern sollten
Teil 2: Ja und Amen oder auch nicht: Wie die ersten Franziskaner in Deutschland scheiterten
Teil 3: Aus Schaden klug geworden: Die Brüder wagen sich erneut nach Deutschland
Teil 4: Mit Herz und Verstand: Wie die ersten Franziskaner Deutschland für sich gewannen
Teil 5: Klöster der ersten Stunde mit langer Geschichte: Würzburg – Köln – Halberstadt
Teil 6: Vereinte Vielfalt oder welche Brüder waren unterwegs nach Deutschland?
Teil 7: Franziskanische Seelsorge und Caritas in den Anfängen
Teil 8: Kanzel und Katheder: Ausbildung neuer Brüder
Teil 9: Die Welt zu Gast im Kloster
Teil 10: Charisma und Ordnung: Die nächste Generation

Teil 11: Radikale Armut auch für Frauen?

Schon früh zeigten sich junge Frauen begeistert von der Lebensweise des Franziskus von Assisi. Als erste Frau entschloss sich die in einem wohlhabenden Elternhaus geborene Klara, wie Franziskus ein Leben in radikaler Armut zu leben. Da Kirche und Gesellschaft den Frauen jedoch enge Grenzen setzten, war es Klara und ihren Gefährtinnen nicht möglich, wie die Brüder umherzuziehen, ohne Besitz zu leben und ihren Lebensunterhalt durch Bettel oder Almosen zu bestreiten. Außerdem war es den Frauen verwehrt, wie die Brüder zu predigen und die Menschen seelsorgerisch zu betreuen. Demzufolge sah sich Klara gezwungen, in Assisi sesshaft zu werden, wo sie mit ihren Gefährtinnen den Konvent San Damiano begründete. Obwohl die Schwesternschaft zu ihrer Versorgung Besitz annahm und ein eher klösterlich-kontemplatives Leben führte, hielt Klara lebenslang am franziskanischen Ideal fest.

Nach jahrelangem Ringen um die „arme Lebensweise“ insbesondere mit den kirchlichen Amtsträgern erhielt sie schließlich für San Damiano das Armutsprivileg und erlebte noch die päpstliche Bestätigung der von ihr verfassten Regel. Allerdings ließ sich beides nicht für die anderen franziskanisch inspirierten Frauengemeinschaften übertragen. Das lag vor allem an den Päpsten, die die vielfältigen unregulierten Gemeinschaften und die „vagabundierenden“ Frauen einzuhegen suchten. Infolgedessen verpflichteten die Päpste die Frauen auf Regeln, die die Einhaltung einer strengen Klausur, nicht jedoch eine radikale arme Lebensweise vorsah. Schließlich wurden die franziskanischen Frauengemeinschaften im Damiansorden zusammengefasst, der nach Klaras Tod und ihrer Heiligsprechung 1263 in „Ordo sanctae Clarae“ umbenannt wurde. Allerdings wurden den nunmehrigen Klarissen nicht die Regel der hl. Klara, sondern die nach Papst Urban IV. benannte Regel auferlegt. In ihr wurde neben Armut, Keuschheit und Gehorsam auch die strenge Klausur als verbindliches Gebot festgeschrieben, nach dem sich alle Klarissen zu richten hatten.

Bereits drei Jahrzehnte vor der Einrichtung des Klarissenordens entstanden ab den 1230er Jahren die ersten weiblichen Bettelordensklöster jenseits der Alpen. Ihre Entwicklung verlief parallel zu der des Franziskanerordens, der sich mit der erfolgreichen Ankunft der Brüder im Jahre 1221 in Deutschland etabliert hatte. Allerdings liegen bei den ersten rund ein Dutzend umfassenden Klöstern die genauen Gründungsumstände im Dunkeln. Eine Ausnahme bilden lediglich die beiden Gründungen aus dem böhmischen Herrscherhaus der Přemysliden. So stiftete das königliche Geschwisterpaar Agnes und Wenzel um 1233 in Prag das erste Frauenkloster nördlich der Alpen. Agnes, die selbst in das Kloster eintrat und mit Klara von Assisi im Briefwechsel stand, versuchte vergeblich, vom Papst das Armutsprivileg für ihre Stiftung zu erhalten. Ihre Schwester Anna, Ehefrau Herzog Heinrichs II. von Schlesien, gründete 1257 das Frauenkloster St. Klara in Breslau.

Dagegen haben wir von den vor 1263 errichteten Frauenklöstern kaum Kenntnis über die Stifter und über die Herkunft der Nonnen. Jedoch verdankt sich ihre Entstehung bestimmten Faktoren, die auch für die Ansiedlung der Minderbrüder ausschlaggebend waren. So lassen sich die frühen weiblichen Bettelordensklöster einerseits in bedeutenden Bischofsstädten nachweisen, wie zum Beispiel in Konstanz und Würzburg, und andererseits in wirtschaftlich potenten Orten. Als eine der prosperierenden Regionen im deutschen Reich galt Süddeutschland, wo insbesondere in den Reichsstädten Frauenklöster gegründet wurden. Zu diesen Einrichtungen zählten die Konvente in Esslingen, Straßburg, Pfullingen sowie in Söflingen nahe der Reichsstadt Ulm, das zu einem der bedeutendsten und vermögendsten Klöster im deutschsprachigen Raum wurde. Diese Gemeinschaften gehörten anfangs dem Damians- und ab 1263 dem Klarissenorden an. Sie lebten nicht nach der Lebensform der hl. Klara, sondern folgten der Urbanregel.

Die Frauenklöster waren der Franziskanerprovinz zugeordnet, in deren Einzugsbereich sie lagen. Dass bedeutete, dass sich die Äbtissin und die Schwestern zum Gehorsam gegenüber dem jeweiligen Provinzialminister verpflichteten und dieser im Gegenzug dafür Sorge zu tragen hatte, die Seelsorge der Nonnen zu gewährleisten. So entsandte er Brüder zu den Ordensfrauen, um bei ihnen die Messe zu lesen, die Beichte zu hören, weitere Sakramente zu spenden und den Besitz der Klöster zu verwalten. Allerdings zeigten sich die Brüder nicht immer kooperativ. So lehnten zum Beispiel die seit ca. 1232 in Prag ansässigen Franziskaner den Auftrag ab, die Seelsorge der Nonnen in dem unweit ihres Konvents gelegenen Frauenkloster St. Franziskus zu übernehmen. Um sich aber die seelsorgerische Betreuung der Brüder zu sichern, übernahmen vor allem die hochadligen Klarissenklöster ein Modell, das bereits in spätmittelalterlichen Kanonissenstiften etabliert war. Demnach wurde den Frauenklöstern ein Männerkonvent mit fünf bis sechs Brüdern zur seelsorgerischen Versorgung für die in strengster Abgeschlossenheit lebenden Nonnen angegliedert. Da diese Minderbrüder in den Quellen aber nur schwer nachweisbar sind, lässt sich wenig über deren Wirken bei und für die Klarissen aussagen.

Mit der Konstituierung des Klarissenordens im Jahre 1263 stieg die Anzahl der Klarissenklöster nördlich der Alpen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts kontinuierlich an. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, dass bereits bestehende Schwesterngemeinschaften, wie zum Beispiel Nürnberg und Regensburg, in Klarissenklöster umgewandelt wurden. Zum anderen entstanden hochadlige Stiftungen in diversen herrschaftlichen Territorien, wie die wettinischen Klöster Seußlitz und Weißenfels. Danach ebbte die Gründungswelle ab, sodass im 14. und 15. Jahrhundert nur noch wenige Klarissenklöster entstanden. Dazu zählen Königsfelden, Ribnitz, Bamberg und Hof.

Mit der Reformation im 16. Jahrhundert und der Säkularisation im frühen 19. Jahrhundert wurden die meisten Klöster aufgelöst. Nur vereinzelt kam es danach zu Neu- oder Wiedergründungen, sodass im deutschsprachigen Raum von den mittelalterlichen Klöstern heute nur noch das nach 1230 errichtete Klarissenkloster in Brixen fortbesteht.

Angelica Hilsebein


Teil 12: Der Dritte Orden